Gut und schlecht

Häufig sind Dinge, die uns vordergründig richtig erscheinen, bei näherer Betrachtung gar nicht mehr so eindeutig richtig.

Was ich meine, ist die Frage, in welche Richtung sich unsere Mobilität entwickeln sollte.

Gemeinhin herrscht die Meinung vor, Zug- oder Straßenbahnfahren sei umweltverträglicher als Autofahren, SUV seien schmutzigere Fahrzeuge als herkömmliche PKW und Fliegen sei insgesamt das allerschlechteste Vorwärtskommem überhaupt.
Kleinbusse oder Transporter erfreuen sich unter Städtern wachsender Beliebtheit, unterscheiden sich in ihrer Ökobilanz aber leider nicht von einem der modernen hochbeinigen Stadtgeländewagen. Windangriffsfläche, Motorleistung, Rädergrößen und gefahrene Strecken wiegen weitaus mehr.

Das alles sind jedoch Vereinfachungen, mit denen wir uns die komplexe Welt erklären und die Dinge in gut und schlecht einteilen, einfach deswegen, weil es gewohnte Strategien zur Erklärung komplexer Phänomene sind. Teilen unsere Freunde diese Einordnungen, verstärkt das tendenziell unsere Überzeugungen und wir festigen unsere Meinung. Soweit, sogut.

Leider müssen wir davon ausgehen, dass die ganze Realität meist vielschichtiger ist. Je mehr wir uns mit Sachverhalten intensiver beschäftigen, umso mehr stellen wir fest, dass wir am Ende gar keine feste Meinung mehr zum Thema haben und die vielen unterschiedlichen Seiten sehen.

So geht es einem auch mit der Thematik des öffentlichen Verkehrs in unserer Stadt, stellvertretend sicher auch für andere Städte. Die aktuellen Debatten zum 49 Euro-Ticket, der nachhaltige Umbau der Innenstädte zu lebenswerten Oasen für ihre Bewohner*innen, genauso wie Debatten zum Tempolimit.
Es hilft immer, sich die Frage zu stellen: Wer profitiert von welcher Diskussion?

Der öffentliche Nahverkehr in Dresden beschäftigt 2000 Menschen, hälftig im Fahrdienst und in der Verwaltung. Dies verursacht durchschnittliche Kosten von etwa 100 Mio. Euro jährlich, wohlgemerkt reine Lohnkosten. Hinzu kommen noch weitaus höhere infrastrukturelle Kosten für Fahrzeuge, Geleise, Fahrspuren, Haltestellen und Verbrauchsmittel wie Elektrizität und Diesel. In einer Vollkostenbetrachtung inkl. der durch Stadt und Land zu Infrastrukturmaßnahmen zugeschossenen Mitteln summieren sich die jährlichen Kosten der DVB auf über eine Mrd. Euro, auch wenn sie selbst ihren Umsatz 2019 mit 154 Mio. Euro ausweist.
Das erscheint angesichts des offiziellen Städtehaushalts hoch, und ist es auch.

Angesichts voller Bahnen und Busse zu den Stoßzeiten am Tag, käme auch niemand auf die Idee, Zweifel an der Effizienz des öffentlichen Nahverkehrs in der Stadt zu hegen. Sprich: wenn ich morgens zwischen 7 und 9 Uhr mit dem Verkehrsmittel meiner Wahl durch die Stadt zur Arbeit fahre, dann sind die Busse und Bahnen voll. Wie die Straßen und sonstigen Wege übrigens auch.

Abends und nachts hingegen ergibt sich ein anderes Bild: ab 21.00 Uhr sind nicht nur unsere Straßen und Wege leer, vor allem die großen leeren Gefäße des öffentlichen Verkehrs fallen ins Auge. Klar sitzen in den meisten Autos auch jeweils nur ein oder zwei Personen, in den Gelenkbussen der DVB sitzt zumeist jedoch nur eine Person, und zwar diejenige am Steuer. Angesichts 40 Tonnen Gewichts eine himmelschreiende Verschwendung von Ressourcen.

Wie kommt es zu dieser Misere?
Der öffentliche Verkehr funktioniert arbeitsrechtlich im Schichtbetrieb. Linienbetrieb bedeutet Frühschicht und Spätschicht, ggf. sogar Dreischichtbetrieb. Im arbeitsrechtlichen Interesse eines Verkehrsbetriebs ist folglich der vertretbare Betrieb einer Linie mit mehreren Fahrenden. Effizienz und Auslastung mit Fahrgästen des Betriebs in den Randzeiten kommen erst an zweiter oder dritter Stelle. Folglich fährt die Linie 61 als Gelenkbus bis spät in die Nacht, völlig unabhängig davon, wieviele Fahrgäste im Bus sitzen. Ab 21.00 Uhr nämlich so gut wie keine mehr.

Wäre es da nicht sinnvoll, zu diskutieren, wie sich auch ÖPNV verändern müsste, damit auch er auf unsere großen Nachhaltigkeitsziele einzahlt? Wären weniger Straßen-KM mit älteren Fahrzeugen nicht ein wesentlich effektiverer Beitrag zum Klimaschutz? Wären kleinere Fahrzeuge und Taxen nicht die bessere Alternative zum verwaisten Gelenkbus nachts um 23.00 Uhr? Wäre die Förderung des Spontanverkehrs gegenüber der Fixierung auf Abo-Kunden nicht der nachhaltigere Weg für den ÖPNV der Zukunft?

Dies ist die Kehrseite der Medaille des guten und moralisch überlegenen öffentlichen Nahverkehrs. Niemand schert sich dabei nämlich um die Frage, wie effizient und umweltverträglich der ÖPNV in seiner jetzigen Form wirklich ist.

Und mal ehrlich, habt ihrs wirklich geglaubt?